Von phantastischen Einhörnern zu realen Zebras
Einhörner gehören nicht nur ins Reich der Fabelwesen, sondern sind auch Bestandteil der Unternehmenslandschaft. Hier sind sie Start-ups, die für die Größenordnung und Massenadoption gebaut werden und deren Wert mehr als 1 Milliarde Dollar beträgt. Anfangs gefeiert sind viele der Einhörner, die den Markt für Börsengänge im Jahr 2019 getestet haben, ins Trudeln geraten. Unter anderem liegt dies an der Diskrepanz zwischen privater Bewertung und öffentlichem Handel. Mehrere der anvisierten Börsengänge wurden mittlerweile verschoben oder sogar ganz abgesagt, da der Markt äußerst gemischte Signale hinsichtlich dieser Pläne aussendet.
Die vielleicht bekanntesten Beispiele gescheiterter Börsengänge sind Uber und Lyft, die nach einem enttäuschenden Start darum kämpfen mussten, wieder Fuß zu fassen. Die Marktkapitalisierung von Uber ist nach dem Börsengang zwischenzeitlich um mehr als 37 Prozent gesunken. Lyft verzeichnete mit 53 Prozent einen noch deutlicheren Rückgang. Nicht einmal zum Markt geschafft hat es WeWork. Der Anbieter von Coworking-Plätzen entschloss sich den angekündigten Börsengang auf unbestimmte Zeit zu verschieben, damit sich die neuen Co-CEOs auf das Kerngeschäft konzentrieren können. In der Folge fielen WeWork-Anleihen auf Rekordtiefstände.
Ein Grund für diese Negativbeispiele sind eine von extremen Wachstum getriebene, überhöhte Bewertung der Unternehmen vor dem Börsengang. Kontraproduktiv ist zudem das gewachsene Misstrauen vieler Investoren, aufgrund der massiven Verluste. Allein WeWork verlor im dritten Quartal 2019 ca. 1,25 Milliarden Dollar.
Die Einhörner von 2019, die einst für die nächste Welle von Großunternehmen gehalten wurden, haben also die Erwartungen weitestgehend verfehlt. Vielleicht ist die positive Bewertung von Unternehmen, die Geld verlieren und keine klaren Wege zur Profitabilität haben doch nicht die beste langfristige Strategie.
Auch aus diesem Grund findet am Markt langsam ein Umdenken statt. Anstelle der Milliardenbewertung sind Investoren häufiger gewillt, eine breitere gesellschaftliche Wirkung bei ihren Investments zu berücksichtigen. Dies steht im Zusammenhang mit dem Aufschwung der Zebra-Start-ups. Unternehmen dieser Kategorie sind sowohl gewinnorientiert als auch für einen guten Zweck tätig. Dadurch schaffen sie ein Gleichgewicht zwischen gesellschaftlichem und Investorenvermögen, was es ihnen ermöglicht, ihr Kundenspektrum zu erweitern.
Hier kommen auch Family Offices ins Spiel. Laut Forbes ist die Zahl der Family Offices seit 2017 um 38% gestiegen. Das Geld, das Familienunternehmen oder reiche Einzelpersonen in europäische Start-ups investieren, ist in den letzten fünf Jahren sogar um das Fünffache gestiegen. Zudem ist das Privatvermögen heute die größte Finanzierungsquelle für Venture Capital Fonds.
Aufgrund ihrer Aktivitäten in den jeweiligen Märkten haben Family Offices oft detailliertere Branchenkenntnisse als andere Investoren. Dieses Wissen hilft ihnen auch bei der Identifizierung von aufstrebenden Start-ups. Family-Office-Investoren agieren aus der Eigentümerposition heraus und investieren in der Regel deshalb maßgeblich aus strategischen Beweggründen und nicht um hohe Renditen zu erzielen. Der Hauptfokus ist die Erhaltung und das Wachstum von Kapital über mehrere Generationen hinweg. Family Offices sind daher in der Regel in der Lage, eine sehr langfristige Sicht auf ihr Gesamtportfolio einzunehmen.
Seitdem Family Offices sich in die Landschaft der nicht-traditionellen Investoren in Risikokapital einreihen, haben Start-ups mehr Optionen, wenn es um die Finanzierung geht. Und dies kommt besonders Start-ups zugute, die nicht ausschließlich ein explosives Wachstum anstreben. Man könnte auch sagen, die Realität der Zebras siegt hier über die Phantasterei der Einhörner.
Die Erstveröffentlichung des Artikels von Carsten Wagnerer, Associate Director bei Oaklins Germany erfolgte in der Ausgabe 2/2020 des VentureCapital Magazins.